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Kein Fingerschnippen: Technische Lösungen brauchen Zeit

Die heimischen Stadtwerke gehören zu den wichtigen Akteuren, damit der Kreis Lippe das Ziel der Klimaneutralität erreichen kann. Hier werden eigene Konzepte entwickelt, Chancen genutzt, Fördermittel generiert und vor allem, eine Vorbildfunktion gelebt. Im Interview erzählt Diplom-Ingenieur und Betriebswirt Volker Stammer als Geschäftsführer der Stadtwerke Bad Salzuflen, welchen Beitrag der kommunale Energieversorger leistet und wie weit der Transformationsprozess bereits fortgeschritten ist.

Herr Stammer, können Sie den Begriff Klimaneutralität überhaupt noch hören?
Volker Stammer: Auf jeden Fall. Es wäre schlimm, wenn ich darauf mit nein antworten müsste, denn das Thema wird uns alle noch lange beschäftigen. Der Begriff ist schnell ausgesprochen, aber die Umsetzung dauert.

Wie tun die Stadtwerke, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen?
Stammer: Wir haben schon vor einiger Zeit ganz klassisch alle uns betreffenden CO2-Emissionen ermittelt und analysiert. Diese Emissionen konnten wir durch direkte und indirekte Maßnahmen vollständig kompensieren.

Durch welche Maßnahmen hat das funktioniert?
Stammer: Durch den Zukauf von hochwertigen Zertifikaten sowie die Unterstützung verschiedener Projekte. Wir sehen uns als Vorbild und möchten Vorreiter sein, deshalb stehen wir auch in stetigem Austausch mit interessierten Firmen.

Zig private Haushalte und Unternehmen werden in Bad Salzuflen von den Stadtwerken versorgt. Wie nimmt man die mit ins Boot?
Stammer: Wir beliefern seit Jahren unsere Kunden mit Öko-Strom und verpachten erfolgreich PV-Anlagen, die später in den Besitz des jeweiligen Hauseigentümers übergehen. Sämtliche Maßnahmen, die wir umsetzen, wirken sich automatisch auch auf alle unsere Kunden aus. Aktuell investieren wir 20 Millionen Euro in den Sektor Klimaneutralität.

Worin genau wird investiert?
Stammer: Zum Beispiel in Windkraft- und Solaranlagen. Wir errichten Wärmepumpen, Power-to-Heat-Anlagen und denken über Solarthermie-Felder nach. Der Einsatz von Biogas sowie die Verbrennung von Restholz sind zudem Maßnahmen, die sich in Sachen Gesamtklimaneutralität auszahlen werden.

Gibt es seitens der Regierung dafür Fördertöpfe, die angezapft werden können?
Stammer: Auf jeden Fall. Es gibt verschiedene Fördertöpfe und Förderprogramme, für Privatkunden als auch für Unternehmen. Sinnvoll ist es, bei jedem Projekt eine entsprechende Fördermittelberatung in Anspruch zu nehmen, um hier die maximale Unterstützung aus der Vielzahl der Programme generieren zu können.

Wenn irgendwann die Energieversorger nur noch auf „Gratis-Lieferanten“ wie Sonne und Wind setzen, müssten dann die Kosten für die Endverbraucher nicht auf Dauer sinken?
Stammer: Eventuell, wenn das System erstmal steht. Aber man muss bedenken, dass für Windräder und Co. auch Investitions-, Betriebs- und Unterhaltungskosten anfallen.

Wie sieht es beim Thema Gas aus? Stichwort: Russland.
Stammer: Der Krieg mit der Ukraine hat sich erheblich auf unsere CO2-Bilanz ausgewirkt. Der Verbrauchsrückgang war spürbar. Und dazu muss man ganz klar sagen: Gas wird nie wieder so günstig werden, wie das Pipeline-Gas aus Russland seinerzeit war.

Ist überhaupt die Gas-Versorgung gesichert?
Stammer: Diese Fragestellung war tatsächlich für uns auch ganz neu. Aber ja, unsere Bürger waren und sind sicher versorgt. Aktuell sind die Gasspeicher deutschlandweit zu 65 Prozent gefüllt. Es gab Jahre mit kalten Wintern, da lagen wir um diese Jahreszeit nur bei 25 Prozent. Aufgrund der guten Versorgungslage und des Ausbaus der LNG-Terminals ist daher trotz der Alarmstufe Gas meines Erachtens derzeit nicht von einer Abschaltung auch sogenannter nicht gesicherter Kunden auszugehen.

Der Klimawandel lässt grüßen. Das Tempo auf dem Weg zur Klimaneutralität ist hoch. Wie wirkt sich das auf die Arbeit der Stadtwerke als Energie-Versorger aus?
Stammer: Die Arbeit ist sehr viel mehr geworden. Wir befinden uns in einem Transformationsprozess. Wir benötigen für die Zukunft intelligente Zähler, die nicht nur den Verbrauch, sondern auch die Einspeisung durch die Kunden messen. Man muss auch über variable Tarife nachdenken.

So wie an der Tankstelle?
Stammer: Genau. Wenn mehr Strom da ist, als benötigt wird, könnten die Preise fallen.

Welche Hürden sind noch zu nehmen? Woran hapert es. Ist die Politik mit ihren Entscheidungen zu langsam?
Stammer: Nein, die Bundespolitik empfinde ich eher zu ambitioniert. Es fehlt noch an technischen Lösungen. Die brauchen Zeit und sind nicht mit einem Fingerschnippen lösbar. Überall fehlen Fachkräfte. Außerdem muss natürlich das Investitionsumfeld gegeben sein.

Man stelle sich vor, alle Hausbesitzer wollten von jetzt auf gleich sofort umrüsten auf Wärmepumpe, Solarthermie und Co….
Stammer: Nicht machbar. Dafür stehen weder genug Gelder noch ausreichend Handwerker zur Verfügung.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, können Sie dann schon einen klimaneutralen Horizont erkennen?
Stammer: Na klar (lacht). Wir als Stadtwerke sind schon jetzt gut aufgestellt, begleiten die Wärmewende, sind an PV-, Wind-, und Biogasanlagen beteiligt. Unsere Stadtbus-Flotte fährt längst vollelektrisch mit Ökostrom, wir verleihen Fahrräder, bieten Car-Sharing an und haben auch sonst noch viele innovative Ideen parat, um aktiv unseren Beitrag zu leisten.

 

Das Interview führte Sandra Castrup.

   

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